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Regionalgeld-Schreibverbund » Forum » Ein neues Wirtschaftswunder? » Hallo, Gast!
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Ein neues Wirtschaftswunder?

Regionale Währungen und Nullzinsen als Lösungsansatz für die Wirtschaftskrise. Ein ungewöhnlicher Vorschlag
- von Ralf Becker - (in Auszügen)
... Es werden viele Gründe für die Arbeitslosigkeit diskutiert, doch einer wird fast immer übersehen: Die Arbeitslosigkeit wächst, seit die jährliche Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts unter der Wachstumsrate der Zinsen liegt. Und das hat seinen Grund: Während - aufgrund der steigenden Zinsbelastung, die auf allen Steuern, Waren und Dienstleistungen liegt - die Kapitalbesitzer einen immer höheren Anteil vom jährlichen Volkseinkommen erhalten, wird der Faktor Arbeit nicht mehr entsprechend dem Wirtschaftswachstum entlohnt: Seit 1990 sind die realen Nettolöhne in Deutschland um zwei Prozent gesunken ...
Mit unserem Geld- und Zinssystem verschiebt sich stetig Einkommen zugunsten der Vermögensbesitzer. Diese Verschiebung erfolgt über die in allen Endverbraucherpreisen enthaltenen Zinsen, die im Durchschnitt etwa 33 Prozent der Preise (bei Mieten bis zu 80 Prozent) ausmachen. Eine ähnliche Einkommensverschiebung vollzieht sich auch weltweit, da die Entwicklungsländer seit den neunziger Jahren weit mehr Zinsen an die Industrieländer zahlen, als sie an Entwicklungshilfegeldern erhalten.
Die Folgen dieser Einkommensverschiebung wurden in Deutschland in der jüngeren Vergangenheit entweder durch ein hohes Wirtschaftswachstum oder durch kreditfinanzierte staatliche Umverteilung ausgeglichen. Doch mit dem exponentiellen Wachstum der Schulden und Geldvermögen übertrifft die jährliche Umverteilung über Zinsen inzwischen das gesamte Staatsbudget. ...
Bei realen Habenzinsen unter drei Prozent legen die Menschen ihr Geld nicht mehr langfristig an, sondern halten immer mehr Geld auf ihren Girokonten. ...
Da stellt sich die Frage, wie dieses Geld wieder in Umlauf gebracht oder langfristig angelegt werden kann. Die unkonventionelle Antwort: Durch eine jährliche Abgabe von ungefähr sechs Prozent auf den Bargeld- und Girokontobestand würde das vorhandene Geld automatisch wieder in langfristige Anlageformen gedrängt. Denn alle Leute würden verhindern, daß ihr Geld um sechs Prozent im Jahr an Wert verliert.
Das würde zu einem verstärkten Geldangebot für langfristige Anlagen und damit zu einer Senkung der langfristigen Zinsen auf ein Gleichgewichtsniveau um null Prozent führen. Diese geringen Zinsen machen Kredite billiger, erleichtern Investitionen und damit die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Der sinkende Zinsanteil in den Güterpreisen steigert zudem die Kaufkraft der Bevölkerung und belebt über die steigende Nachfrage die Wirtschaft. Dank der sinkenden Schuldzinsen der öffentlichen Haushalte wären der drohende Bankrott von Bund, Ländern und Kommunen abgewendet und der Sozialstaat leichter finanzierbar. Ein neues Wirtschaftswunder wäre machbar.
Zugegeben, eine derartige Liquiditätsabgabe klingt ungewöhnlich. Doch es hat sie in der Geschichte schon jahrhundertelang gegeben, unter anderem in der wirtschaftlichen Hochblütezeit des Mittelalters von 1150 bis 1450 in weiten Teilen Westeuropas. Während der Weltwirtschaftskrise vor 70 Jahren führten zahlreiche Kommunen auf der ganzen Welt Liquiditätsabgaben zur Überwindung von Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise ein. Tausende Firmen beteiligten sich in Deutschland und in der Schweiz an Tauschsystemen, die auf Liquiditätsabgaben basierten. Die Einführung der neuen Geldsysteme in vielen Kommunen und Kantonen wurde schließlich durch Verbote der europäischen Notenbanken gestoppt, die um ihre Währungshoheit fürchteten. ...
Doch heute könnte das "zinsfreie" Konzept Realität werden: Die Einführung einer Liquiditätsabgabe wäre pro Person mit direkten Kosten von etwa 150 Euro pro Jahr verbunden. Dem stehen jedoch heute Zinskosten für Konsumentenkredite in Höhe von durchschnittlich 600 Euro pro Haushalt und für staatliche Schulden in Höhe von 2500 Euro pro Erwerbstätigem gegenüber. Abschied nehmen müssen wir allerdings von dem Prinzip "Von den Zinsen leben". Wir würden zukünftig nur von der "echten" Substanz des real Ersparten leben können. Gleichzeitig würde jedoch die dadurch erwirkte Senkung der Arbeitslosigkeit das staatliche Rentensystem funktionsfähig halten. Ergänzend zur Einführung dieser Liquiditätsabgabe würde sich die Einführung weiterer Spekulationsgebühren, etwa im Devisenhandel - zum Beispiel der Tobinsteuer auf die Umsätze an den Devisenbörsen - oder im Immobilienbereich empfehlen.
Als Argument gegen die Einführung einer solchen Abgabe wird des öfteren die mögliche Kapitalflucht ins Ausland angeführt. Das Beispiel Japan spricht dagegen: Dort wird seit vielen Jahren eine Null- bis Niedrigzinspolitik praktiziert, ohne daß dies für Japan irgendwelche nennenswerten internationalen Auswirkungen hat.
Bislang ist die Europäische Zentralbank nicht bereit, eine solche Vision praktisch umzusetzen. Doch es ist möglich, über sogenannte Komplementärwährungen - neben der jeweils nationalen Währung bestehende Währungen - diese Idee bereits konkret in die Tat umzusetzen und in der Praxis zu erproben. Weltweit gibt es Tausende solcher lokaler und regionaler Geldsysteme. In vielen Entwicklungländern tragen sie dazu bei, soziale Probleme aufzufangen. Im Industrieland Japan - das uns in puncto Wirtschaftskrise einige Jahre voraus ist - sind inzwischen Hunderte solcher Initiativen entstanden. Neben der Regierung unterstützen und erforschen dort bereits einige Universitäten komplementäre Geldsysteme.
Auch in Deutschland entstehen immer mehr Initiativen zum Aufbau lokaler und regionaler Komplementärwährungen, die zumeist als Gutscheinsystem konzipiert sind. Regional umlaufendes Geld kann die Region nicht verlassen, verbleibt so dort als Wirtschaftskraft und erhöht die regionale Bindung. ... Bereits heute arbeiten in Deutschland über 400 Tauschringe mit zinslosen Währungen.
Professionelle, international operierende Tauschhandelsringe haben Stellen eingerichtet, die regionale und überregionale zinslose Währungssysteme ermöglichen und miteinander verbinden. In Schweden und Dänemark gibt es seit über 30 Jahren ein funktionierendes Netzwerk von sogenannten JAK-Banken. Diese regionalen Genossenschaften organisieren zinslose Geldkreisläufe - auch zwischen Tauschringen. Die Einleger bekommen keine Guthabenzinsen und erhalten bei Bedarf zinslose Kredite, für die sie lediglich eine Bearbeitungs- und Risikogebühr in Höhe von zwei Prozent zahlen.
Nach einer im Jahr 2003 von der Europäischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben Studie können solche regionalen Währungssysteme auch entscheidende Bausteine für ein stabiles internationales Finanzsystem sein. Insbesondere bieten sie Schutz vor den Unwägbarkeiten globaler Spekulationen und Finanzkrisen. Ein JAK-Netzwerk soll jetzt auch in Deutschland aufgebaut werden: Eine Vision nimmt Gestalt an.
(Diplom-Kaufmann Ralf Becker war Referent bei Misereor für das Projekt "Zukunftsfähiges Deutschland". Er arbeitet an der Akademie der Wissenschaften und Künste mit und berät Regiogeld-Initiativen.)
Erschienen in Publik-Forum, Zeitung kritischer Christen, Oberursel, Ausgabe Nr. 14/2004, Seite 12 bis 15, Abschrift mit freundlicher Genehmigung des Verlages und des Autors.


von: Sigrid Saxen  
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